Wenns drauf ankommt
Prüfen – Rufen – Drücken: Drei einfache Handlungen, die über Leben und Tod entscheiden können. Was im Notfall zu tun ist, darüber haben Rettungskräfte am Samstag auf dem Parkplatz der Kreisverwaltung informiert.
Beim „Wiederbelebungstag“ geht die elfjährige Pia mit gutem Beispiel voran. Beherzt führt sie unter Anleitung die Herzdruckmassage durch und legt sogar den automatisierten externen Defibrillator, kurz AED, an. Eigentlich wollte Pia an diesem Samstagmittag mit ihrer Mutter nur Pokémon-Karten in der Stadt kaufen. Und nun hat sie – zumindest in der Theorie – ein Leben gerettet, wenn auch nur das einer Übungspuppe. Dafür ist Pia aber nun auch für den Ernstfall gewappnet. „Es war ganz leicht und vieles kannte ich schon aus der Schule“, berichtet die Schülerin und ist sich sicher, dass „sie im Notfall sofort helfen würde und genau wüsste, was zu tun ist“.
Dass alle Menschen das von sich behaupten könnten, ist ein Wunschtraum von Ärzten und Rettungskräften. Denn der Alltag sieht anders aus. Ob aus Unsicherheit, mangelnder Kenntnis, Ohnmacht oder Berührungsängsten – viele scheuen sich, bei einem medizinischen Notfall Wiederbelebungsmaßnahmen einzuleiten. Um das zu ändern, haben sich am Samstag auf dem Parkplatz vor der Kreisverwaltung Hilfsorganisationen positioniert. Initiiert von der Rettungsdienstbehörde der Kreisverwaltung Kaiserslautern in Kooperation mit dem Westpfalz-Klinikum soll der „Tag der Wiederbelebung“ die Menschen aufklären und Hemmschwellen abbauen.
Ein großes Aufgebot an verschiedenen Rettungswagen des Deutschen Roten Kreuzes, des Arbeiter-Samariter-Bunds und des Malteser Hilfsdienstes lockt um 10 Uhr schon erste Interessierte an. Neugierige Blicke werden in die Einsatzfahrzeuge geworfen und die Ersten trauen sich, an den Reanimationspuppen, auch Übungsphantome genannt, Hand anzulegen. Organisator Christian Hardt ist positiv überrascht angesichts des regen Interesses. Man wolle hier auch den optimalen Verlauf der Rettungsdienst-Kette vom notrufabsetzenden Helfer, der den Patienten vorfindet, bis zum Einliefern in die Klinik zeigen.
Ein solches Szenario, wie es sich jederzeit abspielen könnte, demonstrieren die Rettungskräfte vor Ort. Eine Übungspuppe liegt mit Herz-Kreislauf-Stillstand am Boden, ein Laie setzt den Notruf ab und beginnt mit der Wiederbelebung, bis die First Responder (Ersthelfer) eintreffen. Kurz danach sind auch der Notarzt und der Rettungswagen da. In Windeseile haben alle ihre Rucksäcke ausgepackt und umfangreiches medizinisches Equipment ist rund um den Patienten ausgebreitet. Alle Helfer arbeiten Hand in Hand, bis der Betroffene umfangreich versorgt und genügend stabilisiert ist, um im Krankenwagen abtransportiert zu werden.
Vorgestellt wird auch ein extra spezialisiertes Fahrzeug: das Medical Intervention Car des Westpfalz-Klinikums. Das MIC ist unter anderem mit einer Herz-Lungen-Maschine ausgerüstet und kommt etwa bei schweren Verkehrsunfällen oder bei jüngeren Patienten mit Herz-Kreislauf-Stillständen zum Einsatz. Seit April vergangenen Jahres in Betrieb, sei es schon zu 120 Einsätzen des MIC gekommen.
Hardt betont, dass das wichtigste Glied in der Rettungskette erst einmal der Ersthelfer sei, gerade bei Herz-Kreislauf-Stillständen: „Bereits nach drei bis fünf Minuten Stillstand kommt es zu irreversiblen Hirnschäden. Pro Minute ohne Herz-Kreislauf sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit um zehn Prozent.“ Der Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes Westpfalz merkt an, dass zudem 65 Prozent dieser Stillstände unter Beobachtung stattfänden, also etwa zuhause oder auf der Arbeit im Beisein einer oder mehrerer Personen. Etwa 10.000 Menschen könnten daher jedes Jahr gerettet werden, wenn frühzeitig mit der Reanimation begonnen würde.
Dabei seien drei einfache Handlungsschritte relevant: das Ansprechen des Patienten und Überprüfen, ob er bei Bewusstsein ist und Kreislauf und Atmung vorhanden sind. Wenn beides negativ ist, sei unverzüglich der Notruf 112 zu tätigen. Ab dann sei man nicht mehr allein und werde geführt. Bis zum Eintreffen der Rettungskräfte sei nun die Herzdruckmassage durchzuführen, das heißt: kräftiges und schnelles Drücken mit beiden Händen und ausgestreckten Armen mittig auf den Brustkorb, rund 100-mal pro Minute. Als Taktgeber könne man den Refrain des Bee Gees-Songs „Stayin’ alive“ zu Hilfe nehmen. „Sie können nichts falsch machen. Der Patient ist primär tot“, erklärt Hardt. Beim Drücken nicht selten vorkommende Rippenbrüche seien unproblematisch und ein Helfer habe auch grundsätzlich keine Anzeige wegen Körperverletzung zu befürchten.
Anja Bauer, Leiterin der DRK-Akademie, gibt zu bedenken, dass viele Menschen nur einmal im Leben einen Erste-Hilfe-Kurs ablegen, meistens im Zusammenhang mit der Führerscheinprüfung. Gerade wenn diese dann lange zurückliegt, sei eine Auffrischung des Kurses angezeigt. „Es ist doch eine dramatische Vorstellung, wenn man etwa einem engen Familienangehörigen im Ernstfall nicht helfen kann“, wirbt sie dafür.
Der Ärztliche Leiter des Notarztstandortes Westpfalz-Klinikum Armin Domke hebt noch zwei wichtige Punkte hervor: Dem Ersthelfer stehe nach dem Einsatz immer eine psychologisch-soziale Notfallversorgung zur Verfügung, um das Erlebte bei Bedarf zu verarbeiten. Bezüglich der Reanimation appelliert Domke an alle, frühzeitig eine Patientenverfügung zu verfassen, diese griffbereit aufzubewahren und Angehörige darüber in Kenntnis zu setzen. Nur so könne entschieden werden, ob eine Reanimation und darüber hinaus folgende Maßnahmen im Sinne des Patienten fortgesetzt werden.
Quelle: Von Astrid Kreser, Die Rheinpfalz Pfälzische Volkszeitung - Nr. 222, Montag, den 23. September 2024