Die Oma ist jetzt ein Engel
„Die Oma ist jetzt ein Engel, irgendwo im Himmel und wacht über Dich.“ Solche Vorstellungen sind es, die beruhigen sollen. Doch früher oder später kommen Fragen. Kinder wollen wissen, ob sie die Oma nicht doch noch einmal besuchen können?
Denn wenn der Tod in ihr Leben tritt, können Kinder dies nur selten erfassen, erklärt Ingrid Mayer. Kinder nehmen den Tod, Abschiede und Verluste anders wahr als Erwachsene. Dafür richtet das Deutsche Rote Kreuz Kaiserslautern-Stadt nun eine Gruppe ein. Für Kinder zwischen acht und zwölf Jahren, die ihre Trauer in der Gruppe auf kreative und schöpferische Weise verarbeiten können. Mayer leitet diese Gruppe.
Tod und Verlust sind Tabuthemen in unserer Gesellschaft. Ein offener Umgang findet höchst selten statt. Umso schwerer fällt es Kindern, sich in einer solchen Situation gravierender Veränderungen zurecht zu finden. Und oft werden deren Bedürfnisse von den Eltern übersehen und vernachlässigt. „Wenn etwa die Großeltern versterben, sind die Eltern oft mit eigener Trauer behaftet, sodass wenig Raum und Aufmerksamkeit für die Trauer der Kinder bleibt“, erklärt Mayer. Im Gegenteil: Manche Eltern wollen ihre Kinder gar vor dem schmerzenden Gefühl der Trauer schützen, indem sie versuchen, die Kinder überhaupt nicht in die Geschehnisse einzubeziehen. Doch genau das sei der falsche Weg, betont Mayer. „Kinder wollen wahrgenommen werden.“ Und: „Trauernde Kinder bestimmen den Weg, wie sie mit ihrer Trauer umgehen möchten.“
Doch es muss nicht allein der Tod eines geliebten Menschen sein, der Kinder eine schmerzliche Verlusterfahrung erleben lässt. Ebenso kann der Tod des Haustiers Gefühle der Trauer auslösen, deren Intensität die Eltern nicht immer erkennen - schließlich mag der Tod des Hamsters aus deren Sicht vielleicht nur eine untergeordnete Rolle spielen. Gleiches gilt beim Umzug der besten Freundin, der für die Lebenswelt der Kinder eine gravierende Veränderung bedeuten kann, aber von den Eltern nur wenig beachtet wird. „Es kann passieren, dass Eltern gar nicht vollends wahrnehmen, was in ihren Kindern vorgeht. Oder dass sich das Kind plötzlich zurückzieht und die Eltern wissen nicht, warum es sich abschottet“, meint Mayer. Hier komme es auf die Sensibilität der Eltern an, die Gefühle der Kinder zu erkennen, zu erspüren und zu entschlüsseln.
Das ist nicht immer einfach. Schließlich begreifen Kinder die Endlichkeit eines Verlusts anders als Erwachsene. Kleinkinder etwa können kaum realisieren, dass es kein Wiederkommen mehr gibt, erklärt Mayer. „Je älter das Kind wird, umso rationaler wird die Vorstellung des Todes. „Mayer plädiert also für einen offenen Umgang mit dem Tod, für Dialog und Gespräche, für ein Wahrnehmen der Emotionen der Kinder.
Dazu muss Raum und Zeit sein. Und es gilt, schmerzliche Gefühle zuzulassen. „Denn Trauer ist ein natürlicher Prozess und keine Krankheit, die mit Tabletten zu behandeln wäre.“ Mayer berichtet aus ihren Erfahrungen: „Wenn Trauer nicht gelebt und verarbeitet werden kann, sondern verdrängt wird, wird der nächste Trauerprozess umso heftiger ausfallen.“In diesem Zusammenhang versteht sie die Trauerbegleitung für Kinder und Jugendliche. „Das ist kein Ersatz für eine Therapie sofern diese nötig sein sollte“, betont Mayer. In der Gruppe wolle man helfen, die eigene Trauer anzunehmen und zu verstehen. Es gehe darum, sich auf kreative Art und Weise mit dem Verlust auseinanderzusetzen und dafür Ausdrucksmöglichkeiten zu schaffen. Es soll Raum sein, Abschied zu nehmen und die Geschehnisse zu verarbeiten. „In einem geschützten Raum soll die Möglichkeit bestehen, den Verlust auszudrücken und dem Trost eine Gestalt zu geben.“ Dies geschieht in künstlerischer Form, ob als Malerei, mit einer Tonarbeit oder Bastelei.
Die Trauerbewältigung und das Loslassen finden auf diese Weise eigene, persönliche Chiffren, Symbole und Rituale. Sie manifestieren sich im Tun, im kreativen Schaffensprozess, beispielsweise in der Arbeit an einem Bild, in dem Erinnerungen und Hoffnungen sich durchdringen können. Auf diese Weise lernen die Kinder, etwas zu gestalten, entgehen der Machtlosigkeit und Tatenlosigkeit, sie lassen etwas entstehen, bringen etwas in Ordnung. So beschreibt Mayer den Ansatz in der Trauerbewältigung. „In ihrer schöpferischen Arbeit vertreiben die Kinder die ‚Gespenster‘.“
Quelle: Regiogeflüster, Andreas Erb