Ein Tag mit den Rettungsassistenten
„Bahn frei für eilige Helden!“ Verletzte oder erkrankte Mensch im Umkreis Kaiserslautern, Kusel und im Donnersbergkreis schnellstmöglich notfallmedizinisch zu versorgen und qualifizierten Krankentransport zu leisten,
das hat sich die DRK Rettungsdienste Westpfalz GmbH auf die Fahnen geschrieben. Sie betreibt insgesamt zehn Rettungswachen in der Region. In einer davon hat sich „Regiogeflüster“-Redakteurin Miriam Dieckvoß umgesehen.
Es ist noch früh am Morgen, doch in der Rettungswache des Deutschen Roten Kreuz in der Lauterer Augustastraße herrscht schon rege Betriebsamkeit. Wachenleiter Siegfried Cieslik nimmt mich in Empfang und stattet mich mit Dienstkleidung aus, die mir von einer ausgesprochen netten – deutlich langbeinigeren – Mitarbeiterin zur Verfügung gestellt wurde. Cieslik lädt mich auf eine Führung durch die Räumlichkeiten ein. Von zentraler Wichtigkeit sind vor allem die Halle, in der Rettungswagen (RTW) und Krankentransportwagen (KTW) stehen, und der Gemeinschaftsraum, in dem die Mitarbeiter sich zwischen den Einsätzen aufhalten können. Der Wachenleiter schaut sich im recht leeren Raum um. Die Besatzungen der KTWs haben sich auf den Weg zu ihren Einsätzen gemacht, gerade werden vor allem Dialysepatienten zu ihren Dialyseterminen gefahren. Cieslik lächelt. Er sei stolz auf sein Team – man arbeite gut zusammen und die Motivation der Mitarbeiter sei hoch, zeigt er sich rundum zufrieden. Dann lässt er mich mit den beiden Rettungsassistenten Stefan Schröder und Patric Volb allein. Ihr Tag beginnt mir einer Routine. Jeden Morgen wird bei Dienstbeginn überprüft, ob im Inneren des Wagens alles in ausreichender Menge und funktionstüchtig vorhanden ist: Medikamente, Beatmungsgerät, Sauerstoff, Notfallkoffer – was man eben so braucht, um Menschenleben in jeder nur denkbaren Situation retten zu können. Das Auto, das das Team an diesem Tag fährt, hat eine Intensivausrüstung. Mit ihm können Patienten von der Intensivstation des einen Krankenhauses in die Intensivstation eines anderen Krankenhauses transportiert werden. Gerade haben Schröder und Volb den Check beendet, da tönt aus ihrem Melder ein lautes Geräusch, Ehe ich mich versehe, sitze ich im Inneren des Wagens, und wir fahren mit Blaulicht durch die Stadt. Spontan fällt mir wieder ein, warum ich im Auto nicht gerne auf dem Rücksitz sitze. Doch viel Zeit bleibt mir nicht, um mich mit den Launen meiner Innereien auseinanderzusetzen, denn in wenigen Minuten sind wir am Ziel.
„Bewusstloser Mann“, informiert mich Schröder, als wir auf eine Haustür zulaufen. Der Patient liegt im Bett. Blass. Definitiv bewusstlos. Genauer gesagt: Tot. Er ist verstorben, friedlich, in seinem Bett. Für den Mann kommt die Hilfe zu spät. Auch der ebenfalls eingetroffenen Notärztin bleibt nur noch, den Tod auf einem vorläufigen Totenschein festzustellen. Für uns geht es zurück zur Rettungswache. Eigentlich würde ich jettzt gerne kurz zur Toilette gehen – aber kaum angekommen, wird auch schon der nächste Notfall gemeldet. Ein Baby mit einem Fieberkrampf. Innerhalb einer Minute müssen Karl Rojan und seine Kollegin Ruth Julier aus der Rettungswache ausfahren. Mit Signal geht es durch die Stadt. Nur drei Minuten benötigt Julier für die nicht wirklich kurze Strecke. Liebevoll versorgen die beiden Rettungsassistenten gemeinsam mit dem Notarzt das Baby. Als Julier es auf den Arm nimmt, um es zum Auto zu tragen, greift es vertrauensvoll nach ihrem Finger. Man sieht, es geht ihm schon besser. In der Kinderklinik wird es bereits vom Arzt erwartet und direkt in ein Untersuchungszimmer gebracht. Rojan und Julier haben ihren Auftrag jetzt erledigt, sie fahren zurück zur Rettungswache.
„Man darf das, was man täglich erlebt, nicht mit nach Hause nehmen“, erklärt mir Rojan, der einer der dienstältesten Rettungsassistenten in Kaiserslautern ist. Kühlen Kopf bewahren zu können, sei nötige Voraussetzung, um den Menschen in Extremsituationen professionell beizustehen. Schröder und Rojan kommen ins Plaudern, erzählen Kurioses und Vergnügliches, berichten von den jährlichen Tests, denen man sich als Rettungsassistent unterziehen muss, denn „Rettungsassistent“ ist einer der wenigen Berufe, deren Ausübung jährliche Prüfungen erfordern. Und erzählen dann doch von den belastenden Einsätzen – von denen, die auch ein Profi nicht vergessen kann. Als Rojan von einem Baby berichtet, für das jede Hilfe zu spät kam, versagt ihm die Stimme. Er schluckt und schaut an die Decke. Für einen Moment sind die beiden Männer still. Dann räuspert sich Rojan und sie kommen wieder auf die tägliche Routine zu sprechen. Ein weniger emotionales Gesprächsthema, sollte man meinen. Doch immer wieder fällt in ihren Erzählungen das Wort „Alkohol“, vor allem in Verbindung mit Berichten über Gewalt gegen die Rettungskräfte. Grundsätzlich sei die Aggressionsschwelle deutlich gesunken. Immer wieder seien Rettungssanitäter Bedrohungen und Handgreiflichkeiten von den Personen ausgesetzt, die eigentlich ihre Hilfe bräuchten. Aber auch andere Entwicklungen beobachten Rojan, der 1967 in einem Krankentransportwagen angefangen hat, und seine Kollegen: „Früher gab es vorwiegend chirurgische Einsätze, wie Verletzungen durch Autounfälle, die heute dominierenden Wohlstandskrankheiten hat es damals weniger gegeben“, sagt er. Es sei aber auch die Schwelle gesunken, einen Rettungswagen oder gar den Notarzt dann zu rufen, wenn ganz offensichtlich kein Notfall vorliegt. „Ein Rettungswagen ist doch kein Taxi von der Kneipe nach Hause“, mahnt Schröder. Er wolle aber auf keinen Fall Menschen davon abhalten, im Zweifel sofort den Rettungsdienst zu alarmieren. Es scheine fast so, als zögerten häufig die Menschen zu lange, die wirklich hilfsbedürftig sind, während andere die schnelle Hilfe – beispielsweise bei einem Glas zu viel in der Kneipe – bewusst und schamlos ausnutzen. Während der interessanten Gespräche, begehe einen dummen Anfängerfehler: Ich schiebe den mittlerweile nicht mehr ganz uneiligen Gang zur Toilette auf. Fatal. Denn plötzlich gibt es die nächste Notfallmeldung. Meine Blase legt ein klares Veto ein. Diesen Einsatz muss ich verpassen. Wäre ich Rettungsassistent, hätte ich jetzt buchstäblich „gelitten“, denn ein Toilettengang ist in den maximal 60 Sekunden bis zur Ausfahrt nicht inbegriffen. Während ich die Toilettentür abschließe, höre ich, wie sich das Martinshorn entfernt.
Mittlerweile ist es Mittagszeit. Im Aufenthaltsraum sitzen einige junge Leute, die vorwiegend für die KTW-Fahrten zuständig sind. Ein junger Mann hat sich eine Pizza in den Ofen geschoben. Knusprig braun bruzzelt sie vor sich hin und duftet köstlich. Ein großer Teller steht schon bereit. Plötzlich ein schrilles Geräusch. Enttäuschung macht sich auf dem Gesicht des Rettungssanitäters breit. „Krankentransport nach Kusel“, sagt er unglücklich und verschwindet in Richtung Auto. Ohne Pizza. Die wird er heute Nachmittag kalt und trocken essen müssen. Seine Schicht hat um sechs Uhr begonnen, Zeit zum Frühstück hat er noch nicht gefunden. Denn auch die Rettungssanitäter haben an diesem Morgen viel zu tun. Sie erbringen den qualifizierten Krankentransport, übernehmen vorwiegend die Fahrten, die planbar sind. Sie fahren Patienten zur Dialyse oder zum Arzt, oder übernehmen Verlegungsfahrten. Dabei sind sie natürlich auch immer wieder Ansprechpartner für die großen und kleinen Sorgen der Menschen. Mit knurrendem Magen nicht immer eine einfache Aufgabe.
Kaum sind die Rettungsassistenten wieder auf der Wache angekommen, werden sie auch schon zu ihrem nächsten Notfall beordert. Es stellt sich als eine tiefe Schnittwunde heraus, die im Krankenhaus genäht werden muss. Im Auto macht sich ein beißender Geruch breit. Eine Melange aus Urin, altem Schweiß, Mundgeruch, Alkohol und Kot. Ich frage mich, wie Rojan die mehr als zehnminütige Fahrt neben dem Patienten erträgt. Im Krankenhaus angekommen, reißt er alle Türen des Wagens auf, Julier desinfiziert den Innenraum. Auch das gehört zum Job: Gerüche ertragen, die sich ein gewöhnlicher Mensch kaum vorstellen kann.
Der Tag vergeht für mich fast ein wenig zu schnell. Die letzte Fahrt der Schicht führt in die Nachbarschaft der Rettungswache. An Ort und Stelle angekommen, sieht man besorgte Passanten um zwei sturzbetrunkene Männer stehen. Einer kauert am Boden. Rojan kniet sich zu ihm herunter, fragt ihn freundlich, ob er sich verletzt habe. Unvermittelt schwingt der Zecher die Faust gegen den Rettungsassistenten. Ich erlebe jetzt live, was mir am Mittag über die Gewalt gegen Rettungskräfte erzählt wurde. Eine beängstigende Situation. Routinier Rojan reagiert gelassen, erklärt ruhig, dass er da sei, um zu helfen. Das ficht den Betrunkenen nicht an. Er rappelt sich mit Hilfe seines Freundes hoch, droht immer massiver, schlägt nach Rojan. „Bitte nicht“, interveniert Julier – ebenfalls sehr ruhig, aber dennoch bestimmt. „Ich schlage auch Frauen“, keift jetzt der Freund und baut sich vor der zierlichen Rettungsassistentin auf. In Rojans Gesicht zuckt es, aber er lässt sich auch von dieser Drohung nicht provozieren. Noch einmal weißt er darauf hin, dass man nur helfen könne, wenn die beiden Herren es zulassen. Julier fordert derweil über Funk die Polizei an. Die Rettungsassistenten sind trotz der vielen Zuschauer auf sich allein gestellt. Es vergehen quälend lange Minuten, in denen Rojan seinen Angreifer mehrfach davor bewahrt, ungebremst auf den Boden zu fallen. Dafür erntet er weitere aggressive Angriffe. Als endlich die Polizei erscheint, ist die Situation dank des umsichtigen und deeskalierenden Verhaltens der beiden Rettungsassistenten weitgehend unter Kontrolle. Der Betrunkene weigert sich mitzufahren, die Rettungsassistenten treten die Heimfahrt alleine an. Für Julier und Rojan kann nun der Feierabend kommen. Für mich auch. Meine Beine wackeln noch etwas, als ich zum Auto gehe. Ob das nur an dem Betrunkenen liegt, oder nicht auch an den Fahrten mit Blaulicht? Ich weiß es nicht. Eines steht für mich aber fest: „Tatütata“ heißt für mich künftig: „Bahn frei für eilige Helden!“
Quelle: Regiogeflüster, Miriam Dieckvoß